Der Mensch und die Natur – ein Thema, über das man stundenlang philosophieren könnte. Der Zugang zur Natur und ihre Wirkung auf den menschlichen Körper haben sich im Lauf der Zeit enorm gewandelt. Wir müssen in unserem Verständnis des Menschen in der Medizin das Gesamtbild wieder aufleben lassen, in dem der Arzt ein Teil der Natur ist, die er nur teilweise beeinflussen kann. Warum? Das möchte ich in diesem Artikel erläutern.
Von der Vier-Säfte-Lehre bis hin zum organischen Weltganzen
Zur Zeit der Griechen, der Römer, des Mittalters und noch am Übergang in die Neuzeit wurde der menschliche Körper im engen und regen Austausch mit seiner Umwelt gesehen. Man ging bis in die Neuzeit von der Vier-Säfte-Lehre aus, sowohl Ärzte als auch Essgewohnheiten wurden stark von diesem Körperverständnis beeinflusst. Dieses System wurde nicht grundlegend hinterfragt und erst nach Paracelsus, der die Vier-Säfte-Lehre heftig kritisierte, verlor sie zunehmend an Bedeutung. Bis zum Umdenken im Körperverständnis wurde der Körper im Sinne eines materiell-animistisch-psychischen Bildes gesehen, die Welt wurde als lebendiges, organisches Weltganzes empfunden, der Mensch als ein Teilchen von ihr. Nach dieser Auffassung beeinflussen sich alle Systeme der Welt gegenseitig und sind voneinander abhängig wie kommunizierende Gefäße.
Der Körper als Maschine
Dann kam der Bruch, der mit Newton, Descartes und Le Maitre eingeläutet wurde. Alles musste berechenbar und messbar sein, der Körper wurde von jetzt an als Maschine gesehen. Das war in gewisser Hinsicht eine fatale Entwicklung. Dieses Menschenbild prägt uns noch heute, der ganzheitliche Gedanke ging verloren. Förmlich ins Gegenteil verkehrt. Einerseits wurde dieses Maschinendenken die Basis für die Reparaturmedizin. Andererseits eroberten wir immer kleinere und speziellere Bereiche des Köpers und unsere Sicht wurde durch diese Spezialisierung immer mehr eingeengt. Es wird immer schwerer, über den Tellerrand des eigenen Spezialisten-Organs oder sogar Rezeptors in den „Rest“ des Körpers zu blicken. Vor allem wird es so schwierig, den Überblick sowie die Gesamtsicht im Blick zu behalten. Die Ganzheit des Körpers wird aus den Augen verloren. Was noch passiert, ist die Ausrichtung auf die wissenschaftlichen Beweise für die Körperphänomene und die Behandlungen der Krankheiten. Was nicht beweisbar und reproduzierbar ist, gilt nichts mehr.
Obwohl in der heute gültigen evidenz-basierten Medizin nicht nur die Wissenschaft, sondern auch die Erfahrung des Arztes und die Werte des Patienten einfließen sollen, werden letztere sträflich vernachlässigt.
So wurde bis heute versucht, jedes Geschehen auf die Kausalität oder biochemische Prozesse zu reduzieren, also die persönliche Freiheit und folglich auch die persönliche Verantwortung zu leugnen – alles ist bestimmt in der deterministischen Weltsicht. Doch die Erde dreht sich weiter, wir uns mit ihr und so ändern sich auch Paradigmen und Gesetzmäßigkeiten. Neues sowie altes Wissen befruchten uns. Im 20. Jahrhundert brach das mechanistische Weltbild wie ein Kartenhaus zusammen.
Systemisches Weltbild: Der Arzt als Teil der Natur
Heute herrscht das systemische Weltbild, das auch zulässt, dass philosophische und spiritualistische Themen in die Erklärung des Menschen und der Welt einbezogen werden. Wir alle müssen in unserem Verständnis des Menschen in der Medizin das Gesamtbild wieder aufleben lassen, in dem der Arzt ein Teil der Natur ist, die er nur teilweise beeinflussen kann.
Nur so werden wir einem ganzheitlichen Konzept des Körpers gerecht. Nur so werden wir ganze Menschen und nicht nur Organe behandeln und nicht ausschließlich Laborwerte oder Röntgenbefunde beachten.